
Madrepora II
145 * 80* 60 cm
Keramik, hochgebrannt
Ausstellungsansicht Madrepora II in Terra Incognita, Union-Gelände Frankfurt
Auftraggeber: Ardi Goldman
Kuratiert von Celena Ohmer
Foto: Stefan Gröpper

Fotos 1-3: Stefan Gröpper
Ausstellungstext Madrepora II in Terra Incognita, Union-Gelände Frankfurt von Celena Ohmer
Die Keramikkünstlerin Felicithas Arndt verbindet in ihrer Arbeit traditionelles Handwerk mit neuen Technologien zu lebendig wirkenden, organischen Objekten. Die ehemalige HfG-Studentin studierte Südostasienwissenschaften und Sinologie, bevor sie sich 2014 an der Hochschule für Gestaltung Offenbach der Kunst zuwandte. Eine prägende Reise in die chinesische Porzellanhauptstadt Jingdezhen führte sie nicht nur zur vertieften Auseinandersetzung mit keramischen Materialien, sondern auch zu den naturbezogenen Bildwelten der traditionellen chinesischen Malerei, die bis heute ihre Arbeiten inspirieren.
Arndts Werke bewegen sich bewusst zwischen Skulptur und Designobjekt, zwischen Kunst und Funktion. Sie hinterfragt die strikte Trennung zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen Mensch und Natur. Durch den Einsatz traditioneller Aufbautechnik, spezieller Gießverfahren und keramischen 3D-Drucks entstehen eigenständige, skulpturale Formen mit reliefartigen Oberflächen, die visuelle wie haptische Reize setzen.
Ihre Objekte laden zum Berühren, Verweilen und zum Dialog mit der Umwelt ein – nicht als dekorative Elemente, sondern als aktive Teilnehmer eines ökologischen Austauschs.
Im Zentrum ihrer 2022 begonnenen Werkserie Madrepora steht eine Kombination aus handmodelliertem Steinzeug und additiv gefertigten Modulen aus dem 3D-Drucker. Die rosafarben glasierte, reich strukturierte Skulptur wächst pilzartig aus dem Boden empor und breitet sich in die Höhe aus. Ihre Erscheinung changiert zwischen künstlich Geschaffenem und natürlich Gewachsenem – eine hybride Form, die die Kategorien von Pflanze, Tier, Objekt und Lebensraum durchlässig macht.
Der Titel Madrepora verweist auf eine Tiefsee-Steinkoralle, deren kalkiges Skelett sich farnartig oder röhrenförmig verzweigt. Diese Kaltwasserkorallen existieren seit über 30 Millionen Jahren, ihre Lebensräume wurden erst durch moderne Unterwassertechnik sichtbar gemacht. Arndt greift nicht nur die ästhetischen Formen dieser Meereslebewesen auf, sondern auch deren ökologische Bedeutung: In ihrer Materialwahl und Gestaltung orientiert sie sich an keramischen Forschungsobjekten, die zur Renaturierung beschädigter Korallenriffe entwickelt wurden, da deren poröse Oberflächen ideale Bedingungen für die Ansiedlung neuer Lebewesen bieten.
Arndt, die mit zwei Werken, einem Wandobjekt und der Madrepora-Skulptur wurde gezielt für den Außenraum konzipiert – als künstlerische Intervention, die nicht nur ästhetischen Raum schafft, sondern konkret Lebensraum bietet: Insekten, Eidechsen, Moose und Flechten besiedeln die Struktur, ziehen sich in Hitzeperioden zurück, überdauern, ohne Pflege, und kehren zurück – ein Kreislauf, der sich jenseits menschlicher Kontrolle vollzieht. Damit greift die Künstlerin ökologische Prinzipien auf, die auf Widerstandsfähigkeit, Selbstregulation und Koexistenz basieren.
In Zeiten wachsender ökologischer Krisen formuliert Madrepora eine stille Utopie: ein Möglichkeitsraum jenseits anthropozentrischer Dominanz. Die Skulptur thematisiert die gegenseitigen Abhängigkeiten aller Lebewesen und steht sinnbildlich für eine veränderte, nicht-hierarchische Beziehung zwischen Mensch, Objekt und Umwelt. Sie ist ein Kunstwerk, das zurückgibt, was der Natur entnommen wurde – und sich zugleich selbst zurücknimmt, um Koexistenz zu ermöglichen.
In ihrer Form, Struktur und Materialität unterläuft die Skulptur klassische Gattungsgrenzen der bildenden Kunst: Sie ist gleichermaßen Lebensraum, ästhetisches Objekt, Denkfigur und Versuchsanordnung.
Dabei steht sie in engem Zusammenhang mit aktuellen theoretischen Ansätzen, wie sie etwa der Soziologe und Philosoph Bruno Latour formulierte: dem Abschied von der Trennung zwischen Mensch und Nicht-Mensch, hin zu einer planetarischen Kosmologie, in der das Zusammenleben aller Akteure – menschlicher wie nicht-menschlicher – neu gedacht wird.
Felicithas Arndts Arbeit ist dabei nicht nur formal und technisch bemerkenswert, sondern trägt auch eine konsequent nachhaltige Haltung in sich. Ihre Werke reflektieren eine künstlerische Praxis, die Natur weder idealisiert noch instrumentalisiert, sondern miteinbezieht, ermöglicht und sichtbar macht. Madrepora ist in diesem Sinne nicht nur eine Skulptur – sondern ein Vorschlag, wie Kunst im Zeitalter des Anthropozäns eine kooperative Rolle einnehmen kann.

Madrepora I
146 * 80* 60 cm
Keramik, hochgebrannt
Skulpturenpark Mörfelden-Walldorf 2025


Madrepora III
145 * 70* 60 cm
Keramik, hochgebrannt
2023
Ausstellungsansicht Neuer Botanischer Garten Marburg 2025, Dauerleihgabe













